Rund 122 Jahre lang – vom Januar 1872 bis zum Juni 1994 – waren auch einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Männern in Deutschland eine Straftat und damit ein Fall für den Staatsanwalt. Bis zu 140.000 Männer sollen im Kaiserreich, im NSNationalsozialismus-Staat und in den beiden deutschen Nachkriegsstaaten wegen homosexueller Handlungen verurteilt worden sein. Rechtsgrundlage hierfür war der § 175 Strafgesetzbuch.
Entschärft wurde er 1969 und dann noch einmal 1973. Seitdem wurden einvernehmliche homosexuelle Handlungen nur noch dann bestraft, wenn einer der Beteiligten unter 21, später unter 18 Jahre alt war. Erst im Jahr 1994 wurde der § 175 StGB auf Beschluss des Bundestags ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.
Die Gesetzgebung spiegelte die gesellschaftliche Ablehnung von Homosexualität wider. Davon war auch die Bundeswehr nicht ausgenommen. Die Streitkräfte handelten im Einklang mit der damals geltenden Rechtslage. Wer wegen homosexueller Handlungen nach § 175 StGB bestraft wurde, der wurde auch zum Fall für die Truppendienstgerichte.
Bis Ende der 1960er Jahre mussten homosexuelle Soldaten mit Entlassung oder Degradierung rechnen, wenn sie „schuldig“ gesprochen wurden. Später wurden homosexuelle Offiziere von Führungsaufgaben entbunden, sobald ihre sexuelle Orientierung aktenkundig wurde. Auch bestanden homosexuelle Soldaten die Sicherheitsüberprüfung in der Regel nicht: Ihr Lebenswandel mache sie erpressbar und damit zu einem generellen Sicherheitsrisiko, argumentierte der Militärische Abschirmdienst. Auch diese Ansicht vertrat die Bundeswehr nicht exklusiv: Eine entsprechende Regelung aus dem Innenministerium galt für alle Ressorts der Regierung gleichermaßen. Für viele Homosexuelle bedeutete dies das Ende für die Karriere in Uniform.
Die Bundeswehr hielt zunächst auch nach 1994 an der Einschätzung fest, dass homosexuelle Männer nicht in den Streitkräften dienen sollten. Doch im Jahr 2000 wurde die Diskriminierung vor dem Hintergrund des sich wandelnden europäischen Verständnisses von Menschenrechten und Diskriminierungsfreiheit beendet: Seitdem beinhaltet die Pflicht zur Kameradschaft auch die Pflicht zur Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten.
Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz von 2006 wurde die Diskriminierung von Minderheiten in der Gesellschaft und den Streitkräften unter anderem wegen ihrer sexuellen Identität untersagt. 2017 hob der Bundestag die Verurteilungen nach § 175 StGB auf und rehabilitierte die Betroffenen. Wer wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen zu Haftstrafen verurteilt wurde, hat seither Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung. Nun plant die Bundeswehr, bei der Rehabilitierung von homosexuellen Soldaten nachzuziehen.
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